ARCHIV

Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung e.V. (IG MARSS)

Gefängnis ARCHIVE: DENKMALSCHUTZ

In einer Stadt wie Marburg mit einer einzigartigen historischen Altstadt im Zentrum haben Denkmalpflege und Denkmalschutz eine besondere Bedeutung. In den vergangenen einhundert Jahren sind sehr viele denkmalgeschützte Gebäude und Ensembles in Marburg abgerissen worden, auch in jüngster Vergangenheit.

Auf dieser Seite Materialien aus diesem Bereich.

Siehe auch in anderen Archiven und Seiten zu aktuellen Themen..


Weidenhausen: Ein Haus verrottet

Turnergarten gerettet (2006)

Forderung der IG MARSS zum Denkmalschutz (2002)

Abbruch Schwanalle 30

Angus Fowler: Denkmalschutz und Erhaltung des Marburger Stadtbildes

Angus Fowler: Vortrag bei ICOMOS 2000

Prof. Dr.L. Hoischen in der FR über Marburger Welterbe Ambitionen

 

2010: Zwischen Weidenhausen und Weidenhäuser Brücke: ein denkmalgeschütztes Haus verrottet.

Weidenhausen Weidenhausen


Turnergarten gerettet!

Seit dem Sommer 2006 beschäftigen sich Denkmalschützer, Bürgerinitiativen, Parteien und engagierte Bürger mit dem Erhalt des Turnergartens aus dem Jahr 1903. Nachdem der bisherige Besitzer verschiedene Konzepte ausgelotet hatte, um das Gebäude in seiner jetzigen historischen und denkmalgeschützten inneren und äußeren Form zu erhalten, war zum Verkauf gekommen. Eine Umgestaltung in Wohnungen droht.

Die Marburger Linke Fraktion brachte Anträge in Parlament und Ausschüsse ein, in denen der Magistrat aufgefordert wird, alles zu tun um den Erhalt des Turnergartens zu ermöglichen und sei es durch Kaufübernahme.

Nachdem Bürgermeister Dr.Kahle sich öffentlich negativ zu einer Übernahme geäußert hatte, überraschte OB Vaupel die Bürger bei der Einweihung des Dr.Hanno Drechsler Platzes mit der Mitteilung, die Stadt werde alles tun um das Gebäude zu erhalten - das hätte auch OB Drechsler gemacht.

Magistrat und Parteien prüfen derzeit mögliche Nutzungskonzepte. Der neue Besitzer ist bereit, der Stadt die Immobilie abzutreten.

  Ortstermin im Turnergarten    Foto: Bernhard vom Brocke


 

Im Oktober 02 stellte die IG MARSS ihre Arbeit in der 11.Sitzung des Denkmalbeirates in Marburg vor.

Der Denkmalschutz ist eines der prominenten Ziele der IG MARSS.  OB Möller erklärte in der Abschlußveranstaltung zur Bürgerbeteiligung auf Fragen des IG MARSS Vorstandsprechers Haberle, daß der Zugang zur Liste der denkmalgeschützten Gebäude und Ensembles gewährleistet sei. Dennoch liegt der IG MARSS bisher trotz Anfrage beim Landesamt für Denkmalpflege keine solche Liste vor.

Es ist in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, daß denkmalgeschützte Häuser der Abrissbirne zum Opfer fielen, um profitablen Investitionen Platz zu machen.

Die IG MARSS fordert die Marburger Bürger dazu auf, solche Vorfälle sofort der IG MARSS zu melden, bei der eine Liste gefährdeter Gebäude und Ensembles geführt wird, die laufend ergänzt wird. So droht z.B. der Abriss des Hauses rechts neben dem Oberstadtaufzug, das seit Jahren ungenutzt scheint und eigentlich restauriert werden müsste.

Auch Beobachtungen von Gefährdungen der Bausubstanz von denkmalgeschützten Häusern sollten der IG MARSS mitgeteilt werden:

Kontakt:

Angus Fowler / Vorstandsmitglied der IG MARSS e.V.  Telefon 06421-12094, Fax 161255


Stadtverordneten Sitzung am 26.1.01

  01.   Frage des Stadtverordneten Manfred Keller

      Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

      Aufgrund der Satzung der Universitätsstadt Marburg für den Denkmalbeirat wird es  für wünschenswert gehalten, dass dieser die denkmalpflegerischen Belange gegenüber der Öffentlichkeit vertritt (vgl. § 2 Abs. 5). Warum ist das nicht der Fall bzw. hat der Beirat möglicherweise Angst, gegen den sog. „Maulkorberlass" des Magistrats zu verstoßen? Warum ist dieser Beirat z. B. nicht in der Lage, gegenüber der Öffentlichkeit klarzustellen, dass er  nicht  für die Streichung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes „Schwanallee 30" ist?

       Es antwortet der Oberbürgermeister. 

      Es ist richtig, dass der Denkmalbeirat der Stadt Marburg gemäß seiner Satzung (§ 2 - Aufgaben - Abs; 9 Satz 2) die denkmalpflegerischen Belange in seinem Arbeitsgebiet gegenüber der Öffentlichkeit vertreten kann (ist erwünscht).

      Über das Bauprojekt Schwanallee 30, in das auch das denkmalgeschützte Gebäude einbezogen ist, hat der Denkmalbeirat bisher in 7 Sitzungen beraten. Die erste Sitzung im Jahre 2000 fand am 7. März und die letzte Sitzung am 5. Dezember statt. In der ersten Sitzung des Denkmalbeirates im Jahre 2001 (16. Januar) wurde das Bauprojekt ein weiteres Mal erörtert. In allen Sitzungen ist das Bauprojekt hinsichtlich der  Belange des Denkmalschutzes sehr kritisch und ausführlich behandelt worden. Insbesondere nachdem das Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) die Denkmaleigenschaft des "Altbaus" von 1873 zugunsten einer umfangreichen Reduzierung der  geplanten Neubauten im rückwärtigen Bereich ("Gartenflächen"; heute steht dort eine Lagerhalle der ehemaligen Firma Bubenheim) aufgegeben hat. Dennoch hat der Denkmalbeirat einen Beschluss gegen den Abbruch und aufgrund der Aufgabe des      Gebäudes als Kulturdenkmal durch das LfDH einen weiteren ergänzenden Beschluss gefasst, wonach Einfluss auf die städtebauliche und architektonische Gestaltung der geplanten Neubauten zu nehmen ist und den entsprechenden Rahmen vorgegeben  In der letzten Denkmalbeiratssitzung am 16.01.2001 hat das LfDH seine Position dem Denkmalbeirat nochmals ausführlich erläutert. Der Denkmalbeirat hat daraufhin seine aktuelle Beschlusslage dahingehend abgeändert, als der Antrag das bisher als Denkmal deklarierte Gebäude Schwanallee 30 weiter als Kulturdenkmal zu erhalten aufgegeben wird. Bestand hat der Teil des Beschlusses, der sich mit Auflagen zu  dem vorliegenden Neubauentwurf beschäftigt.

      Die Entscheidungen darüber, ob ein Gebäude oder bauliche Anlage als Kulturdenkmal deklariert oder diese Eigenschaft wieder aufgehoben wird, ist alleinige Sache des LfDH. Der Denkmalbeirat als auch die Untere Denkmalschutzbehörde (UDSchB) ha ben hierauf keinen Einfluss, sie können lediglich Empfehlungen hierzu aussprechen.

     Grundsätzlich ist der Denkmalbeirat bestrebt, seine Arbeit der Öffentlichkeit mitzuteilen, jedoch unter Beachtung des Persönlichkeits- und Datenschutzes. Hierzu sind bereits im Denkmalbeirat Gespräche geführt worden. Um eine effektive und objektive Öffentlichkeitsarbeit zu gewährleisten, bedarf es jedoch einer sachkundigen Person, die sich dieser Arbeit annimmt. Aus den Reihen der Mitglieder des Denkmalbeirates als auch seitens der UDSchB kann diese Arbeit aus Zeitgründen nicht geleistet werden. Es wird daher angestrebt, auf Grundlage des § 4- Vertrauensleute - einen sachkundigen Bürger hierfür zu gewinnen.

Einen "Maulkorberlass" für den Denkmalbeirat durch den Magistrat gibt es nicht.

Zusatzfragen der Stadtverordneten Keller- Bündnis 90 / Die Grünen - und Köster-Sollwedel - PDS/ML - werden durch den Oberbürgermeister

 


ANGUS FOWLER

DENKMALSCHUTZ UND ERHALTUNG DES MARBURGER STADTBILDES

                                                                                    

Einer der Ausgangspunkte bei der Gründung der Marburger Geschichtswerkstatt 1984 war die Sorge und auch der Kampf um die Erhaltung verkannter und unbekannter Gebäude mit sozialer und historischer Bedeutung in Marburg : Beispielsweise eine Industrieanlage wie die Bierbrauerei Missomelius (in einer ansonsten an Industriedenkmälern armen Stadt) oder auch das Marburger Gefängnis. Dies sind sicherlich keine Baudenkmäler von hohem architektonischen Rang wie etwa das Marburger Schloß oder die Elisabethkirche, es sind/waren jedoch wichtige Zeugnisse ihrer Zeit. Der in einem Gutachten 1969 vorgeschlagene Abbruch bzw. die Flächensanierung der Altstadt kam glücklicherweise nicht - wie leider in manch anderer Stadt wie z. B. Gudensberg wenige Jahre später 1974- zur Ausführung. Infolge eines Wechsels in der politischen Führungsspitze der Stadt konnten unter dem Oberbürgermeister Drechsler größere Teile der Altstadt ohne Abbrüche saniert werden - wenn auch die Durchführung hinsichtlich der Authentizität von Materialien usw. nicht immer befriedigend ist. So stellt sich aktuell die Frage, wie das Haus Barfüßertor 16 (erbaut um 1845), in dem sich noch mehrere schöne Fenster z. T. mit Originalglas befanden, nach der „Renovierung" aussieht? Erst Pionierarbeiten bei Ausgrabungen und Untersuchungen von Gebäuden (z. B. an der Stelle des abgerissenen Gymnasiums Philippinum( Untergasse) durch E. Altwasser und R. Groß verbunden mit archivarischer Forschung durch A. Fowler, unterstützt durch Hermann Bauer und Dr. Willi Görich, führten zur Gründung des Freien Instituts für Bauforschung und Dokumentation. Insbesondere archäologische Untersuchungen bleiben eher noch sporadisch, denn trotz der Bedeutung Marburgs mit seiner Universität und dem dort angesiedelten Seminar für Vor- und Frühgeschichte und dem Kunsthistorischen Institut sowie dem Landesamt für Denkmalpflege (Außenstelle Marburg) gibt es nach wie vor keinen archäologischen Dienst in dieser Stadt. Bisher wurde nicht einmal ein Gutachten über das archäologische Potential dieser Stadt und seiner Ortsteile erstellt, in dem aus archäologischer Sicht potentielle Gefahrenzonen aus-gewiesen würden. Bei geplanten Eingriffen in den Boden müsste es Pflicht sein, diese anzumelden, umeine archäologische Beobachtung und Begleitung zu gewährleisten.    -

Viele historische Gebäude gingen schon vor 1973 verloren, weitere wurden immer wieder auch danach abgebrochen - ein Trend, der sich bis heute fortsetzt: Vor 1973: u.a. das Wirtshaus an der Lahn, die Obere und Untere Siechen (beide auf der Denkmalliste von 1909!), die Stadtsäle, das Torhäuschen am Ende der Weidenhäuserstraße, die Alte Schäferei am Glaskopf, die Oberförsterei am Renthof, Häuser am Grün/Rudolphsplatz, der „Göpel" (durch Pferde betriebene Mühle) hinter der Herrenmühle, Bopps Terrassen, die Traubenapotheke (Reitgasse), die Häuser Markt 8 und 10, der Englische Hof, die Elisabethschule, das Gymnasium Philippinum, der Rote Hof in Ockershausen usw. usf.

 Seit 1973: Teile der Herrenmühle (zum Bau der Volksbank), das Luisabad, Häuser am Biegeneck (u.a. das Eichamt), ein Haus in der Lingelgasse aus dem 14. Jahrhundert (auf Anordnung des Oberbürgermeisters Drechsler), die Schwanapotheke, zwei größere Häuser in der Wilhelmstraße (zum Ausbau von Ahrens und der Sparkasse), Barfüßerstr. 7, Untergasse 3, Gärtnerei Jakobi (Haus um 1830) am Barfüßertor, Jugendstilhäuser an der Ecke Wilhelmstraße/Friedrichstraße (zum Bau eines Wohnparks), Bierbrauerei Missomelius, entstellende Veränderung der sog. „Villa Siberia" am Schloß, Gastwirtschaft Ruppersberg und das älteste bekannte Schulgebäude Ockershausens (um 1690, Stiften-. 27), der Hessische Hof (Elisabethstraße), Ketzerbach 62 (Ziepprecht), Haus in Zwischenhausen, Teile der Rothermund'schen Lohgerberei.

 Es hat leider keine kontinuierliche kritische Initiative seitens interessierter und aufgeklärter Marburger Bürger gegeben, eine Streitkultur wurde von der Stadtverwaltung auch nicht gefördert oder gar gewünscht sondern eher unterdrückt. Bereits Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu Protesten von Marburger Bürgern gegen Abbrüche von Häusern und das Abschlagen von Bäumen, die u.a. zur Gründung des Hessischen Heimatbundes (damals Bund Deutscher Heimatschutz) und 1909 zur Aufstellung einer Denkmalliste führten.

  Anfang der 70er Jahre hat die Initiativgruppe Marburger Stadtbild u.a. mit zwei Heften - „Marburg im  Abbruch" und „Marburg im Wandel" - auf die anhaltenden Abbruche aufmerksam gemacht und vieles  getan, um weitere schlimme Abbrüche zu verhindern. Gegen den geplanten Abbruch der alten Universitätsbibliothek entstand eine Initiative im Südviertel, in den 80er Jahren protestierte die Marburger Geschichtswerkstatt (verbunden mit ihrem Mitglied, dem Förderkreis Alte Kirchen als dem damals aktivsten Denkmalschutzverein in Marburg) gegen den Abbruch der Bierbrauerei Missomelius und für die Erhaltung des ehemaligen Gefängnisses. Um 1990 entlud sich vor allem studentischer Protest gegen die Abbrüche am Biegeneck.

  Ein danach entstandenes Aktionsforum  zur Erhaltung des Marburger Stadtbildes und Stadtentwicklung hat  sich mit den Plänen für die Entwicklung des Gebietes Schlachthof/Luisabad und des Feesergeländes befasst. Der Arbeitskreis brachte in Erfahrung, daß die neuere Entwicklung in Marburg in anderen Orten  durchaus bekannt, berüchtigt und notorisch war (insbesondere war der Abbruch des Luisabades an anderen Orten bekannt), wegen weiterer fehlender Teilnahme jedoch ging dieser bald wieder ein. Die traditionellen Vereine, die sich auch mit Denkmalschutz - wenigstens laut ihrer Satzungen - befassen müssten, nämlich der Marburger Geschichtsverein und der Hessische Heimatbund, blieben in den späteren 80er Jahren und in den 90er Jahren eher stumm, die Geschichtswerkstatt (hingegen) hat sich in dieser Zeit mit ganz anderen Fragen befasst. Der Denkmalbeirat (gegründet infolge des Hessischen Denkmalschutzgesetzes von 1974) kann nur unverbindliche Empfehlungen der Stadt unterbreiten und blieb unter städtischer Kontrolle leider machtlos. Der zuständige Bezirkskonservator vom Landesamt für Denkmal- pflege scheint meist zu kompromissbereit, wenig interessiert und nicht einsatzbereit zu sein.

 Die Stadt Marburg und in den letzten Jahren ganz besonders das Stadtbild hat empfindlich gelitten. Von den offiziellen Behördenvertretern verraten und verkauft, werden künftige Generationen ihnen dafür nicht danken oder verzeihen.

 In Konkurrenz mit Gießen und der Bestrebung „Oberzentrum" und „City" zu sein haben Größenwahn- sinn und Großmannssucht die Vertreter der Stadt angesprochen - vor kurzem Biegeneck, Erlenringcenter, jetzt der Bereich Luisabad/Schlachthof mit Hängebrücke (nah an der ehemaligen Zootomie / Restaurant „Kalimera"!), künftig Feeser-Gelände und Fronhof. Im letzten Moment - sozusagen als Rettung der Ehre Marburgs - haben sich Marburger Bürger wieder zu Wort gemeldet und ein „Aktionsforum Stadtentwicklung" gebildet. Es ist zu wünschen, dass das Blatt der zunehmenden Verschandelung des Marburger Stadtbildes doch noch im letzten Moment gewendet werden kann. Sicherlich ist es aber längst zu spät für einen erfolgreichen Antrag der Stadt Marburg auf Eintragung in die UNESCO Liste des Welterbes, denn hierfür ist die Erhaltung nicht nur von Einzeldenkmälern wie dem Schloss, der Elisabethkirche oder der Altstadt sondern auch des gesamten Stadtbildes und der Umgebung der Stadt unabkömmlich/notwendig.

 Dipl. Arch. Ing. Dr. Techn. Andräs Roman, Privatdozent an der TU Budapest und früherer Leiter der Inspektion beim Ungarischen Denkmalsamt / Budapest, erstellte in seiner Funktion als Vizepräsident von ICOMOS (International Council of Monuments and Sites, eine Unterorganisation der UNESCO) und Vorsitzender des Ausschusses für Historische Städte (und langjähriger Gutachter für die UNESCO Welterbe-Liste) im Auftrag des Hessischen Heimatbundes, der Marburger Geschichtswerkstatt, des Förderkreises Alte Kirchen und des Arbeitskreises Dörfliche Kultur ein Gutachten zum Stadtbild Marburgs, das 1991 an die Stadt Marburg gerichtet worden war. Diese bedeutende internationale Einschätzung des Marburger Stadtbildes wurde der Stadt Marburg zugestellt, aber bis heute gänzlich ignoriert, nicht einmal zur Kenntnis genommen und verschwand in den Akten. Deswegen lohnt es sich noch heute daran zu erinnern ... 


 

 Auszug aus einem Vortrag von Angus Fowler, Internationales

Symposium ICOMOS 2000, Prag 16.-19. Mai 2000

    Marburg, oder besser die Verwaltung der Stadt, war in der Vergangenheit und ist  noch heute mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits ist man stolz auf die  historische Altstadt und deren Restaurierung und auf die großen Denkmäler, wie das  Schloss und die Elisabethkirche und ist bemüht, mehr Touristen anzulocken. - In der  Tat, sowohl Stadtverwaltung/Magistrat als auch der zuständige Beamte des Landesamtes für  Denkmalpflege hätten es gerne, wenn Marburg als Weltkulturerbe anerkannt würde  (eine Bewerbung für die Elisabethkirche wurde jedoch schon 1982 abgelehnt). -  Andererseits will die Stadtverwaltung besonders der Oberbürgermeister, dass  Marburg in Konkurrenz zu dem benachbarten Gießen verstärkt die Aufgaben eines  „Oberzentrums" übernehmen soll. Allerdings wird die Entwicklung Marburgs durch  die hohen Hügelketten auf beiden Seiten des Lahntals stark eingeschränkt, während  Kassel und Gießen für weitere Ausdehnungen offen sind. Marburg ist praktisch noch  immer ohne Industrie. Die Stadt ist zwar für den Kulturtourismus interessant, sie ist aber wegen ihrer Lage, abseits der wichtigen Verkehrswege, im Vergleich zu  Heidelberg oder Rothenburg ob der Tauber, international fast unbekannt. Die Stadtverwaltung versucht deshalb, die weitere Entwicklung und das Steuereinkommen  über Handel und Dienstleistungen zu forcieren, ohne allerdings einen dazu notwendigen Gesamtentwicklungsplan unter Berücksichtigung alter Aspekte einschließlich der Erhaltung und dem Schutz des Stadtbildes, speziell in der unmittelbaren Umgebung der Altstadt, zu erstellen. Gerade die unmittelbare Umgebung der Altstadt wurde in negativer Weise verändert und ernsthaft geschädigt und das nicht nur durch die Stadtautobahn und die älteren hochaufragenden Gebäude der 60er und 70er Jahre, sondern auch durch neue Bebauungen der letzten 10 Jahre: Supermärkte, Parkhäuser, ein großes Multiplexkino, das noch im Bau ist und ganz allgemein durch eine Architektur von minderer Qualität. Marburg wurde - wenn ich den Ausdruck benutzen darf - betrogen von einer mittelmäßigen Verwaltung, die voller Ehrgeiz grandiose Projekte entwickelt. Die Vertreter der lokalen und staatlichen Denkmal- pflege waren nicht in der Lage - infolge von Schwäche oder Kompromissbereitschaft - die Entwicklungen rechtzeitig aufzuhalten, sie haben erst protestiert, als die Pläne bereits genehmigt waren. Besonders skandalös war die Genehmigung ,die von den Bürokraten der städtischen Baubehörde für die neuen Bauprojekte erteilt wurden. Das städtische Hallenbad aus den 20er Jahren - ein schönes Gebäude und Beispiel für die Zeit der Erbauung, wurde abgerissen (andere Städte, wie Hannover und Stuttgart dagegen haben ihre Hallenbäder gerettet und restauriert).

 Während in den 70er Jahren schlimmere Zerstörungen durch den starken Protest von Bürgern und Fachleuten verhindert wurden, fand ein Protest in den 80er und 90er Jahren entweder nicht statt oder wenn, dann wurde er ignoriert oder sogar unterdrückt (1990/91). Erst im August 1999 als Reaktion auf einen schrecklichen Plan für ein weiteres modernes Projekt, das die Sicht auf die Stadt von Osten versperrt, hat sich eine Bürgeraktion für Stadtentwicklung gebildet - zu spät, um das   Projekt zu verhindern.

 Marburg und seine Verwaltung werden jetzt aus den Fehlem der vergangenen Jahre im Umgang mit dem Stadtbild zu lernen haben. Zieht man die rücksichtslose und unsensible kürzliche Entwicklung rund um die Altstadt in Betracht, dann wäre es völlig unangebracht, für diese den Status eines Weltkulturerbes zu erteilen, wenn man bedenkt, dass dieser Status für Lübeck, Potsdam, Kiew und Ohrid kürzlich, wegen ähnlicher Entwicklungen in diesen Städten in Frage gestellt wurde. Während der ersten wichtigen Phase der Entwicklung auf dem Biegeneck-Gelände von Marburg 1991haben zahlreiche Fachleute Dr. Andreas Roman angesprochen mit der Bitte, sich zu Marburgs Wichtigkeit als historische Stadt und zu den modernen Entwicklungen mit Vorschlägen für Verbesserungen zu äußern, Dr. Roman, zu dieser Zeit europäischer Vizepräsident von ICOMOS und Vorsitzender des Komitees für historische Städte und Dörfer, später auch noch Präsident von ECOVAST, hob besonders die Wichtigkeit der sensiblen Erhaltung der Umgebung der Marburger Altstadt hervor. Seine an die zuständigen Behörden der Stadt gesandten Empfehlungen wurden aber bis auf den heutigen Tag ignoriert!

 (Angus Fowler ist Vorstandsmitglied im Förderkreis Alte Kirchen e.V. Marburg, Vorstandsvorsitzender des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Branderburg, Ratsmitglied von Europa Nostra und EGOVAST (European Council for the Village and Small Town) Fowler erhielt 2001 das Bundesverdienstkreuz.

 


 
 
Prof. Dr. Lothar Hoischen in der FR über die Marburger Welt-Kulturerbe-Ambitionen  18.1.2001

 Bausünden

    Zu dem Artikel Der dritte Versuch, Weltkulturerbe zu werden (FR vom 4. Januar 2001) von Gesa Coordes: Für die Anerkennung einer Stadt als Weltkulturerbe durch die Unesco sind zwei Bedingungen unverzichtbar: Eine solche Stadt sollte nicht nur bedeutende kulturhistorische Werte, sondern auch eine besonders verantwortungsbewusste  Baupolitik  zum Schutz ihres Kulturerbes in der jüngeren Stadtentwicklung nachweisen können.   Die erste Auflage erfüllt das mit kulturellen Gutem reich gesegnete Marburg vielleicht noch. Jedoch können die heilige Elisabeth, Schloss und Altstadt als Marburgs Symbole die katastrophale Baupolitik der letzten Jahrzehnte nicht mehr kaschieren. Von nahezu allen politischen Parteien unterstützt, hat sich Marburgs Stadtentwicklung zumeist nur an den Gewinninteressen von Investoren orientiert.

 Das führte in vielen Fällen zum Abriss wertvollster Bausubstanz und zur schwerwiegenden Schädigung des gesamten historischen Stadtbildes durch öde Großbauten. Trotz heftiger Proteste hat die Stadt Marburg aus ihren Bausünden bis heutenichts gelernt.  Zwar wurde der allerengste  Altstadtbereich  denkmalpflegerisch geschützt. Aber in dem direkt am Fuße des Altstadthügels gelegenen Lahnbereich, der das historische Ensemble Marburgs so wesentlich mitprägt, erdrückt eine triste Beton-Gigantomanie schlechtester  Architektur  das  charakteristische Stadtbild.

   Ein überdimensioniertes Multiplexkino sowie  mehrere  Einkaufszentren,  für die gar kein Bedarf besteht, zerstören neuerdings nicht nur das einmalige Stadtpanorama, sondern auch das Gesamtbild einer Flusslandschaft, die früher einen tou rismusfördemden Erlebniswert hatte. Der Lahnbereich und das Stadtbild wurden hier obendrein durch die Stadtautobahn unverantwortlich geschädigt. Als Weltkul turerbe hat eine Stadt übrigens gegen über der Unesco nicht nur eine Berichts-, sondern auch eine Anmeldepflicht, wenn Neubaumaßnahmen geplant sind, die „Auswirkungen auf den Wert des Kulturgutes als Teil des Erbes der Welt haben".

   Daher dürfte sich wohl jeder Anspruch Marburgs erübrigen, Weltkulturerbe zu werden. Der Bundesverband Landschaftsschutz protestiert gegen die Zerstörung historisch gewachsener Stadtlandschaften durch sinnlose Großbauten, wie es in Marburg geschehen ist. Ebenso wie der Schutz der naturgeprägten Landschaften wird der Schutz unserer Stadtlandschaften eine immer wichtigere Aufgabe in der uns umgebenden Lebensumwelt.

                Prof. Dr. Lothar Hoischen  Stellv. Vorsitzender des Bundesverbandes Landschaftsschutz   Marburg